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Shéhézéread

Shéhézéread and the story of the servant who pretended to understand the language of the birds (139.p.)
Auf Einladung der schwedischen Kunstzeitschrift »s.c.r.a.m.« entwickelter Beitrag für ein geplantes Themenheft mit Künstlerbeiträgen zu »p.c.«, 1998



Ich habe die Arbeit im Bezug auf Fragen begonnen, die entstehen, wenn man der Annahme von »p.c.«-Diskussionen folgt, dass Wörter, ebenso wie Dinge oder Handlungen, ein Teil von Praxis sind, und ihr Gebrauch reale Situationen und Machtverhältnisse sowohl zeigt als auch mit herstellt.


• Vier fiktive Briefe aus den letzten 150 Jahren von vier Schreiberinnen aus vier Altersstufen und Sprachgemeinschaften: Schwedisch, Englisch, Deutsch, Ungarisch.*


• (Notizartige Bemerkungen, (z.T. fiktive) Zitate und Kommentare in deutsch oder englisch.



Der schwedische Brief: Die Oberfläche (11)

Schwedische Deutsch/Dänisch-Lehrerin berichtet 1956 aus ihrem Urlaub in Deutschland nach Hause. Über interkulturellen Leseunterricht, Intonationen und Wörterflächen. Das Möbiusband und Ponthus Hulten. Über das Verhältnis zwischen Vorder- und Rückseite und ein Kinderlied, das (siehe auch »Das Kabinett der Leserin«) eine permanente Kreisfigur über unterschiedlichen Nah-Einstellungen erzeugt, sowie die unheimliche Genauigkeit zufälliger Namen.


Der englische Brief: Die Tiefe (65)

Britische Privatgelehrte, die 1869 aus Kairo über den Verlauf ihrer Übersetzungsarbeit berichtet, spät am Abend. Der Zusammenhang zwischen Ornament und Sprache. Oberflächen, Gegenstände und Muster mit der Tendenz zum Eigenleben. Beschreibung eines Selbstportraits von Phillip Starck mit nacktem Oberkörper und sich auflösenden Objekten. Übersetzungsprobleme zwischen Arabisch und Englisch. Wortbedeutungen.


Der deutsche Brief: Das Ungeheuer (213)

12-jährige schreibt 1927 an ihren Cousin einige Dinge um ihn aufzumuntern. Der Sänger im Schrank, die Leserin, und die Frage, ob man, wenn man lange genug im Schrank sitzt, nicht selbst das Ungeheuer wird, das man dort vemutet. Überlegungen zum Codieren von Texten durch/in Bildern und umgekehrt. Extension des Alphabets.


Der ungarische Brief: Die Macht (361)

Etwa 35-jährige Auswanderin schreibt 1971 aus den USA an ihre Schwester in Ungarn. Beschaffung von Möbeln, gestapelte Fernseher, parallele Programme. Das Fremde das eigentlich doch bekannt ist, aber wegen seiner Bezeichnung nicht zugeordnet werden kann. Objekte aus dem Supermarkt, Sprachunterricht durch das Fernsehen. Eine Folge von »Raumschiff Enterprise«, zweidimensionale Wesen aus dem All bleiben unerfasst, bis die Suchparameter der 3. Dimension reduziert werden. Ihr Erscheinen auf dem Bildschirm, als Schwarm. Der Blick durch das Mikroskop und die Wand in einem Hotel. Schnee und Frost.



Neben Fragen zur Übersetzbarkeit interessierte mich, Elemente von Nichtübersetzbarem zu integrieren und mit Sprache im Modus des total Unverständlichen zu arbeiten. - »Subsongs« einer Artikulation herzustellen, die noch hinter den etablierten Artikulationen/Sprachen liegt; - Unterirdisch auch über das grundsätzliche Moment der Nicht-Anpassbarkeit: - Weder an das übliche Verschlingen von Differenz wenn im Interesse einer Gruppe, »für andere« gesprochen wird, - noch an die allgemeine Vorstellung, dass politische Gleichheit legitim nur im Modus der Ähnlichkeit operieren kann.


 

- Zudem wollte ich, gerade wegen des Heftthemas, mit einer Ausdrucksform arbeiten, die als sehr weit entfernt von offiziellen Standards der Diskussion fundamentaler Themen gilt: Das Plaudern der Frauen.


In einigen Aspekten variieren die Briefe einander und jeder von ihnen enthält die Beschreibung von Situationen, die Umsetzungen einiger meiner bereits realisierten Arbeiten ins Schriftliche sind. (»wie schlafend« z.B. Scarlett O'Hara im Paisleykleid.) Eine Navigation durch Bilder, die ausschliesslich durch Worte erzeugt werden, obwohl sie ihnen vorgängig sind, und die dadurch selbst den mehrdeutigen Status von Material und Erfindung erhalten.



• Verwendetes Material:

Titel: Entnommen aus dem Inhaltsverzeichnis von »1001 Nacht«, Verzeichnisnummer 139.p.

(In ihrer Studie »The Art of Story-Telling, A Literary Study of the Thousand And One Nights« hat Mia Gerhardt 1961 das erste vollständige Inhaltsverzeichnis aller ineinandergeschachtelten Erzählungen in »1001 Nacht« erstellt.)


Briefüberschriften: Die 4 Kapitelüberschriften des Romans »Sphere« von Michael Crichton, (»Die Gedanken des Bösen«), in originaler Reihenfolge (inkl. der Seitenangaben).


Erster und letzter Satz jeden Briefes: Je ein Briefanfang und -ende aus Briefen die in Mary Shelleys »Frankenstein« geschrieben und gelesen werden.


Zitat von Pontus Hulten: »Was man nicht auf 100 Seiten sagen kann, kann man überhaupt nicht sagen.«


sowie Materialien zur Übersetzungsgeschichte von 1001 Nacht (R. Irwin u.a.) und die Bücher »Sprache und Wirklichkeit«, von B.L. Worff, »Sylvie et Bruno« (- Lady Muriel -) von L. Carroll und »Die Sprache der Anderen« (G. Spivak Zitat).






* Die Übersetzung aller Briefe und Inserts ins Englische findet sich am Ende der zweisprachigen Zeitschrift, bei den anderen Übersetzungen.

 

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