xxx
Interview anlässlich der Arbeit »Sternhaufen.(...)«
Gruppenausstellung »Here&Now«, Büro Friedrich, Berlin 2003
Fragen von Belinda Ebauer (Büro Friedrich) (Leicht gekürzt)
Du hast Berlin als Standort gewählt. Warum ?
Es lag 1995 nahe.
Wie funktioniert Berlin als Kunst-Standort für dich ?
Gut.
Inwiefern sind Fragen der Herkunft - deiner Herkunft - und der Identität relevant für deine Arbeit ?
Ich bin fasziniert von den Ungarn, die seit 500 Jahren komplett uneins sind, woher sie kommen und es auch nie wirklich sicher gewusst haben. Aber sie sind jetzt da! Die Erfindung Ungarns ist eins meiner Interessengebiete.
Deine Arbeit für die Ausstellung ist eine Fortsetzung des Vogelzugbuchs. Wodurch wurde dieses inspiriert ?
Mir fiel auf, dass die Vogelzug-Orientierungsforschung, die sich etwa seit 1850 vor den bis dahin dominierenden Forschungsschwerpunkt Klassifikation und Entstehungsgeschichte der Arten geschoben hatte, weniger von der Vorstellung von Ferne und Horizontüberschreitung fasziniert war als von Heimfinde-Versuchen, und in der Modellbildung sehr produktiv wurde. Dem wollte ich in Ursachen und Auswirkungen nachgehen.
Kannst du etwas zu deinen philosophischen und künstlerischen Vorbildern sagen ?
»Geschichte und Eigensinn« von Kluge/Negt war in seiner Durchdringung von Erzählung und Theorie, seinen schönen Worterfindungen und Text-als-Bild und vice versa entscheidend. War wie ein Aufatmen. Ansonsten viel Film, fast alles. Speziell: MC Godard, J. Mekas, Ivonne Rainer, alles mit Audrey Hepburn, die jetzt wiederkommt. Insbesondere als Buchhändlerin ist sie sehr überzeugend. (»Think Pink«).
Umgang mit Material - Montage, Erzählung: Alles, was eine Denkbewegung durch soetwas wie Umherschweifen erzeugt, interessiert mich. Erzähltheoretiker wie Theweleit, Deleuze und alle diese klar Wuchernden. Getrude Stein und ihr genaues Nachdenken über Ähnlichkeit und Unterschied wurde wichtig. Ihre ganze Arbeit dreht sich um Fragen der Identität.
Und Eva Meyer, die ja beinahe die Nichte von Getrude Stein ist, aber nicht mehr Dinge beschreiben will, sondern Themen folgt und ihnen begegnet in dem was sie liest, und sie dabei in Sprache verwandelt.
Sie bringt alles, wovon ihr Text handelt in eine Ordnungsform von Übergängen. Solange, bis man ein Gefühl dafür bekommt, dass die Sprache selber die Bewegung ist, die beobachtet wird, während sie dabei ist, Dinge zu machen und während sie als Leserin dieser Bewegung folgt und sie niederschreibt, stößt sie sie immer noch weiter an.
Bis man den Unterschied zwischen den Worten und dem was sie sich einverleiben nicht mehr ausmachen kann, weil das eine vom anderen vollkommen untrennbar geworden ist und es ermöglicht.
Es ist fast unmöglich, den Inhalt ihrer Bücher wiederzugeben, obgleich man alles versteht was sie sagt. Man versteht es und folgt ihren Gedanken - auch wenn ich ihren Text manchmal mehr höre als verstehe, dann ist er wie ein kompliziertes schönes Muster über das meine Finger beim Lesen fahren.
Du nennst deine Arbeit eine »Übung im Verlorengehen«. Kannst Du das erläutern ?
Ich nenne sie »Übungen im Verlorengehen«. Das Buch erzeugt permanent Kippbewegungen (innerhalb) seiner eigenen Architektur. Gleichzeitig entwickelt es eine Linie, die bei sich selber endet. Im Buch taucht diese Formulierung genau in der Mitte auf, wo es um das Inhaltsverzeichnis aus 1001 Nacht geht.
Wenn man verlorengeht, wird alles wichtig, was einem entgegenkommt, weil man nicht sofort einschätzen kann, was wichtig ist und was nicht. Man bemerkt ziemlich viel. Alles wird unselbstverständlich. Für uns ist das meistens ein bedrohlicher oder beunruhigender Zustand. Wenn man es aber übt, dann ist es ein Potential, für eine genaue Wahrnehmung mit neuen Verknüpfungen.
Das wiederum bildet als Zustand in den man beim Lesen geraten kann, etwas von der Bewegung ab und der Art, Verbindung aufzunehmen, die mich interessieren.
Im Vogelzugbuch geht es darum, den Ausgangspunkt aufzulösen. Kann man ohne Ausgangspunkt ein Ziel haben ?
Man könnte auch fragen, ob man dann noch ein Ziel braucht.
Ich persönlich denke, dass man ohne Ausgangspunkt ein Ziel haben kann; wenn man dazu Lust hat, kann man immer einen Stein aufs Brett werfen. Aber seine Entfernung ist dann eher variabel.
Das Buch ist ja auch eine Wiederholung. Ich habe ein Buch nochmals gemacht, das schon 1967 gemacht worden war. Sie sind sich sehr ähnlich, auf der äusseren Ebene. Man könnte denken, identisch. Auf der inneren ist es aber so, dass die Struktur solange wiederholt wird und die Erzählung in jeder Runde erweitert, bis sie anfängt, sich durch sich selber zu drehen, und eine neue dabei rauskommt. Eine Wiederholung, die keine Kopie ist.
An so einem Punkt ist es interessant, über Identität nachzudenken, und was sie als Konzept und Gewissheit mit der Vorstellung von Ausgangspunkten zu tun hat.
Du arbeitest mehr mit Worten als mit Bildern, für eine Bildende Künstlerin heutzutage ungewöhnlich. Wie kam es dazu ?
Wörter hat man ja schon im Mittelalter als Medizin verspeist. Man hat sie auf kleine weiße Zettelchen geschrieben und diese dann in den Mund gesteckt. Das hat mir immer sehr eingeleuchtet.
Wörter sind genauso Material und Medium wie alles andere. Ich entwickle vielleicht schon alles aus Sprache. Ich habe aber über Grammatiken des Denkens noch nicht zuende nachgedacht. Für mich gehören Wörter und Dinge sozusagen zur genau derselben Kategorie. Spezies eben, mit allem Drum und Dran!
Oder schaffst du gerade durch die Worte Bilder ?
Zweidimensionale Bilder schafft man ja auch nicht durch dreidimensionale Objekte.
Wörter sind etwas dazu gleichrangiges, aber von eigener Art. Und das ist ihre besondere Qualität ihr Potential! Also ich sehe nicht, dass man als Künstler durch Worte Bilder schaffen müsste, wenn man gerade mit ihnen arbeitet.
Zudem arbeite ich nicht nur mit einzelnen Wörtern, die dann herumstehen, sondern mit Sprache, also mit Verknüpfungen. Und innerhalb eines Gewebes bleiben dann gelegentlich manche Wörter sehr stark als sie selber zu bemerken.
Möglicherweise also eher Räume und Bewegung, die Übergänge. Das interessiert mich. Also womöglich dann eher Film
|